Aufreger: Zum Haare raufen
27.12.2019Autorin Angi Brinkmann, 53, ist entsetzt darüber, was uns die Fernsehsender da rotzfrech zum Jahreswechsel vorsetzen…
Silvester gab es in meiner Familie ein Ritual: Oma feiert allein! Sie war früh Witwe und wollte das genau so. Nach einem schönen Abendessen hat sich meine Oma einen Piccolo geöffnet und sich vor den Fernseher gesetzt. Da gab es diese tollen Shows mit dem Dieter Thomas Heck, der schwungvollen Musik und dem Countdown. Um zwölf Uhr hat sich meine Oma zugeprostet, uns reihum angerufen, und um halb eins lag sie in der Falle. Chhhhhhhhhhrrrrr …
Vor 30, 40 Jahren ganz schön trendy, sich bewusst für einen Solo-Jahreswechsel zu entscheiden. Ehe man in einem Familienstreit landet oder auf anstrengenden Partys herumsteht, warum nicht?
Heute ist da weniger Glitzer! Da brauchst du an Silvester einen Büchsenöffner – um all die Konserven zu ertragen. Die Show im Ersten zum Beispiel. Sie ahnen es: aufgezeichnet, abgefüllt und verkorkt bereits im Herbst. Alles, was wir sehen, Menschen, Tiere, Sensationen, Tränen, Emotionen, die Aufregung bis Mitternacht – aus der Büchse. Damit der doofe Fernsehzuschauer das nicht merkt, läuft natürlich während der Show ein Echtzeit-Countdown. Ganz perfide wird während der Sendung immer wieder „live“ ans Brandenburger Tor geschaltet und die Stimmung auf Deutschlands größter Silvesterparty eingefangen. Irre! Die tanzenden Leute in Berlin sind live, klar, das Getexte „Und jetzt schalten wir nach Berlin …“, bla, bla, bla, ist hingegen schon Wochen her. Mich gruselt es bei der Vorstellung, wie das Publikum im November in einer Halle den Countdown zählt, den Blick dabei wahrscheinlich auf schmalzige Studioanheizer gerichtet, die Tafeln hochhalten mit Befehlen wie: „Bitte laut zählen! Stimmung machen! Arme hoch! Danke!“
Für mich ist das nichts als angetrocknete Suppe!
Alles, was wir an Silvester vorgesetzt bekommen, ist nicht mehr als eine angetrocknete Suppe, die man mit einem Schuss Wasser noch mal essbar machen möchte. Die ganze gestelzte Stimmung auf dem Bildschirm wird am diesem Abend von pfiffigen Technikern im Sender zusammengeschnitten. Dazu dürfen die bestimmt nicht mal Piccolöchen trinken.
Und es gibt da etwas, das meinen Unmut ordentlich anfeuert – die rausgeworfene Kohle! Schon heute sind über die Hälfte der Deutschen über 50, und WIR sind es, die dem Öffentlich-Rechtlichen jeden Monat tüchtig Gebührengelder zahlen. Das machen die Jungen übrigens nicht, die haben gar keine Fernseher mehr, die streamen lieber auf ihrem Laptop. Also, meine Herrschaften, es wird sich für unsere wertvollen Taler doch wohl ein Showmaster finden lassen, der eine Live-Schicht schiebt, oder? Ich möchte mich an Silvester gemütlich und gepflegt vor den Fernseher setzen können. Am letzten Tag des Jahres hab’ ich nämlich fertig mit Müssen. Da lasse ich mich gern unterhalten – aber niveauvoll und in echt, bitte.