Durchschnittlich? Na, und!

Von Generation WOW20.01.2022

Martina Ehrlich (56) schreibt, wie sie spricht: immer geradeheraus. Hier erzählt sie uns von ihrem Leben im Pott, von Katzen mit Charakter und Menschen, die was erlebt haben. Und trifft mit dem heutigen Thema „Durchschnittlich? Na, und!“ mal wieder einen Nerv …

Vor ein paar Jahren hab’ ich einen Blog geschrieben, einen digitalen Reiseführer fürs Ruhrgebiet. Ich hab’ auch mal einen Schrebergarten gepachtet, um mein eigenes Gemüse anzubauen. Die Laube, die dort bereits stand, wollte ich so cool und einfallsreich renovieren, dass sie es in jede Wohn- und Gartenzeitschrift geschafft hätte. Außerdem hatte ich geplant, mit einem Freund zusammen eine Kneipe zu eröffnen, mit Livemusik und Stand-up-Comedy-Abenden, in der das Bier mal nicht Craft Beer heißt, von Hand in einer stillgelegten Zeche gebraut wird und fünf Euro kostet, sondern eine von diesen herrlich niedrig-schwelligen Nachbarschaftskneipen, in die sogar Frauen allein gehen können.

Alles großartige Projekte, die eines gemeinsam haben: Sie sind nie realisiert worden. Wenigstens nicht länger als ein paar Monate. Der Blog hat meine gesamte Freizeit gefressen, der Schrebergarten mit Luxus-Laube und Ökogemüse stellte sich als nostalgische Spinnerei von mir heraus, weil ich es in Wahrheit hasse, dreckige Finger
zu haben, und nicht mal einen Nagel gerade in die Wand hauen kann. Und die Kneipe hätte mich meine gesamte Altersvorsorge gekostet, und ich hatte schlimme Albträume, in denen ich mit 70 am Bahnhof Flaschen sammeln musste.Pfff! Das waren sie also, meine Versuche, auch mal was Kreatives, Verrücktes, Geniales auf die Beine zu stellen. So wie die vielen Powerfrauen und -männer, die es um mich herum gibt. Zurück blieb der fade Nachgeschmack von Versagen und das fade Gefühl, immer nur mittelmäßig zu sein.

Ich habe lange gebraucht, um mir selbst einzugestehen, dass ich mich mit meiner Durchschnittlichkeit allerdings ziemlich wohlfühle. Ich bin absolut zufrieden damit, abends mit dicken Socken auf dem Sofa zu sitzen und Netflix zu gucken und nicht bis Mitternacht an meinem Start-up zu feilen. Oder im Urlaub nach Mallorca zu reisen, statt eine Schlittenhundetour durch Lappland zu machen. Oder einfach mal drei Leute zum Essen zu mir einzuladen und keine abgefahrene Motto-Party mit 50 Personen zu organisieren. Inzwischen denke ich, dass Zufriedenheit eines der am meisten unterschätzten Gefühle ist. Es klingt so gewöhnlich, so langweilig, so normal, aber das stimmt nicht.

Nur wer genau weiß, was ihm guttut (und was nicht), schafft es, zufrieden zu sein. Der muss nicht ständig mit den Füßen scharren, sich mit anderen vergleichen, Angst davor haben, bedeutungslos zu sein. Ich habe beispielsweise festgestellt, dass ich total gern gut gemachte Blogs lese. Ich liebe es, frisches Gemüse auf dem Markt zu kaufen, und ich gehe mit Begeisterung in nette Kneipen. Zum Glück gibt es Leute, die solche Sachen anbieten, die kreative Ideen und große Visionen haben. Ich bewundere sie, aber ich beneide sie nicht mehr, weil ich weiß, dass ich so nicht ticke. Muss man auch erst mal draufkommen. Und sich immer wieder sagen: Durchschnittlich und genau richtig so sein!

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