Schreibwettbewerb: Gewinnergeschichte
10.06.2021Wow! Über 250 wunderschöne Texte zum Thema „Liebe gegen alle Widerstände“ wurden von euch für unseren Schreibwettbewerb eingeschickt. Gewonnen hat, tadaaa, Bettina Schneider (53). Hier kommt ihre einfühlsame, sommerlich zarte, klar geschriebene Geschichte. Viel Spaß beim Lesen!
„Die Mitternachtssonne“ von Bettina Schneider
Das klare Wasser des Fjordes liegt in einem dunklen Blau vor ihnen. Sonnenstrahlen tanzen wie goldene Sternchen darauf. Die frische Luft, die hier immer ein bisschen salziger schmeckt als überall sonst, ist von gleißendem Licht erfüllt. Sie sitzen auf den bequemen Stühlen, die das Hotel an das Ende des breiten Holzsteges gestellt hat. Am Morgen, als Nebelschwaden wie magische Wesen über die Wasserfläche waberten, hat sie kaum glauben können, dass sich die Sonne heute zeigen würde. Sie haben Glück. Jetzt, kurz vor Mitternacht, ist es taghell.
Auf den Tag genau vor dreißig Jahren haben sie an demselben Fjord gesessen. Damals die Jugendherberge statt des Hotels. Erstbegegnung. Ein unglaublicher Glücksfall. Mussten sie erst nach Norwegen reisen, um festzustellen, dass sie aus derselben Stadt in Deutschland stammten – und nur wenige Kilometer voneinander entfernt in ähnlichen Verhältnissen aufgewachsen sind? Sie hätten es auch einfacher haben können, ging es ihr damals durch den Kopf, aber die Wege im Leben führten nun mal nicht immer geradlinig zueinander. Und auch heute fragt sie sich: Waren die vielen Umwege, diese Irrungen und Wirrungen, wirklich nötig, um endlich wieder hier gemeinsam zu sein, wo alles begonnen hat? Er sagt: „Ja, denn sie haben die Vorfreude gesteigert.“ Ihr gefällt, dass seiner Antwort diese unerschütterliche Gewissheit innewohnt. Und was noch in seinen Worten mitschwingt, ignoriert sie besser. Nach all den Jahren – Freundschaft, ja, die haben sie, noch immer. Sie verstehen sich ohne Worte. Respekt ist da. Wunderbar für eine Freundschaft. Was fehlt ihr? Sie atmet einmal tief durch.
All die Umwege – waren sie wirklich nötig?
Letztendlich fühlt sie sich verantwortlich für diesen Zustand. Einst, vor langer Zeit, hatte er den Anfang gemacht. Ihr zu verstehen gegeben, dass er es nicht bei einer Freundschaft belassen wollte. Sie hielt alles andere für überstürzt. Eine Beziehung? So etwas musste wachsen, man konnte es nicht abkürzen, indem man mit der Tür ins Haus fiel. Eine erste Abfuhr hatte er einkassiert und sich dann zurückgezogen. Und sie fragte sich: Hätte er nicht länger am Ball bleiben müssen, wenn er an ihr interessiert war, anstatt beim ersten Nein einfach aufzugeben? Seine gekränkte Seele, hat er ihr später erklärt, hätte lieber Trost bei jemand anderem gesucht. Und auch sie hat sich umgesehen (wer tut das nicht mit Anfang zwanzig?) und einen Partner gefunden. Was er für Übergangslösungen hielt, hatte sich in ihrem Fall als tatsächliche Liebe entpuppt und sich später sogar zur Ehe aufgeschwungen.
Dennoch haben sie sich nie aus den Augen verloren. Sie haben sich weiterhin getroffen, sogar auch mit Partnern. Sie haben telefoniert, geschrieben, gemailt, später auch gewhatsappt. Immer haben sie aufrichtig am Leben des anderen teilgenommen. Niemals haben sie sich voreinander verschlossen. Die Distanz zwischen ihnen hat über
die Jahre variiert, aber wenn sie sich gesehen haben, war die vertraute Basis sofort wieder da. Aus der sicheren Burg ihrer Ehe hat sie ihn beobachtet, sein Leben, seine Beziehungen verfolgt. Öfter, als es ihr guttat, überlegt, was wäre, wenn … Am Ende hat sie dem Stachel des Zweifels in ihrem Herzen aber keinen Raum gegeben.
Wie zwei Schienenstränge liefen ihre Leben parallel
Jetzt betrachtet sie das Wasser, das nun glatt wie ein Spiegel vor ihnen schimmert. Dahinter Berge, in allen Blauschattierungen. Je weiter entfernt die Berge liegen, desto mehr verschwimmen sie im Dunst, desto heller wird das Blau. Eine Schwalbe segelt umher und touchiert die Oberfläche des Wassers zweimal. Sommerleichtigkeit liegt in der Luft. Irgendwann begann ihre Ehe, die üblichen Abnutzungserscheinungen der Jahre zu zeigen. Es bröckelte hier, es bröselte da, aber immer konnten sie es kitten. Derweil tingelte er weiter durch seine Beziehungen, bis er plötzlich, vollkommen unverhofft (da hatten sie sich wohl doch einen Moment zu lange aus den Augen verloren), auf A. traf. A. wie Alpha(tier). A. war etwas Ernstes, Konkurrenz. Das spürte sie direkt bei ihrer ersten Begegnung. Auch A. schien es zu spüren. Im Scherz sagte sie später, sie, A., sei nur seine zweite Wahl gewesen. Aber A. machte Nägel mit Köpfen. Schnell, ehe man es sich anders überlegen konnte. Hochzeit. Weg vom Markt. Und sie? Sie dachte, dass es jetzt endgültig aus war, als er mit A. vor der Standesbeamtin in dem schmucklosen Amtszimmer stand und sie die kurze Zeremonie aus der zweiten Reihe verfolgte.
Für eine Weile liefen ihre Leben wie zwei Schienenstränge nebeneinander. Verheiratet sah man sich weiterhin, verstand sich weiterhin (auch mit den Ehepartnern). Verglich sich? Irgendwann, nach längerer Zeit, beschlossen sie, sich auch wieder einmal allein zu treffen. Keine Ahnung, wer von ihnen auf die Idee gekommen ist. Ein Wendepunkt. Eine Art Neuanfang? Wenn sie sich sahen, war es wie früher. Es war mehr als sentimentale Nostalgie, das war ihnen beiden klar. Sie konnten über alles reden, verstanden einander blind, lachten über dieselben Dinge. Sie teilten Hobbys wie auch ähnliche Sorgen. Was verständlich war, wenn man sich in derselben Lebensphase befand. Es war wie früher und doch anders, denn inzwischen waren ihre Zusammentreffen von einer tiefen, reifen Vertrautheit und einer sehr erwachsenen Vernunft, was im Leben wirklich zählte (sie hatten beide ihre Lektionen gelernt), durchwebt. Ein starkes Fundament, das spürte sie immer wieder. Eine Verbindung, für die sie von Herzen dankbar war. Nur selten sprachen sie über ihre Partner. Er sei glücklich in seiner Ehe, sagte er, wenn überhaupt. Und sie? Sie war sich nicht sicher. Nicht mehr.
Und plötzlich sind sie wieder hier …
Überraschend kam eine sehr spezielle Zeit. Eine Phase, in der ihr Kontakt schrumpfte wie Krokusse nach der Blüte. Umbrüche, Veränderungen, das, was bei ihr bis dahin Bestand hatte, klappte wie ein Kartenhäuschen in sich zusammen. Es beanspruchte ihre ganze Kraft und Energie. Manchmal muss man loslassen, sagte sie sich, aber es zu tun fiel ihr trotzdem schwer.
Und jetzt sind sie wieder hier, als schließe sich der große Kreis. Er hat sie eingeladen, zum Jahrestag ihrer speziellen Freundschaft. Sie sehen zu, wie die Sonne langsam, nur ein paar Zentimeter aus ihrer Perspektive, hinter die Berge sinkt, um gleich darauf wieder aufzusteigen. Bis eben hat sie die friedliche Stimmung, dieses erhabene Schauspiel der Mitternachtssonne, in aller Ruhe genießen können. Und dann? Offenbarte er ihr vor wenigen Sekunden etwas, das ihr Herz so laut klopfen lässt, dass sie sicher ist, auch er müsse es hören. Getrennt, sagte er beiläufig, er habe sich von A. getrennt, sie lassen sich scheiden. Frei, er ist frei! Diese Erkenntnis entlockt ihr beinahe einen Jubelschrei. Sie schickt ein Stoßgebet zum Himmel, bereit, die Gelegenheit beim Schopf zu packen, wenn das Schicksal ihr die Chance noch einmal auf dem Silbertablett präsentiert. Sie will ihn nicht verlieren.
Dieses Mal fragt sie ihn, bittet ihn um mehr als Freundschaft. Er sagt so schnell „Ja!“, als habe er sein Leben lang auf den Moment gewartet. Es ist wundervoll, so, wie es ist, denkt sie, als er nach ihrer Hand greift und diese warm umschließt. Ihr Herz könnte nicht mehr begehren.
Den ersten Entwurf hatte ich schon verworfen
Neugierig, wer das Gesicht hinter der „Mitternachtssonne“ ist? Hier folgen noch ein paar Infos zu unserer Gewinnerin. Erst auf den letzten Drücker reichte Bettina Schneider (53) ihre zauberhafte Geschichte ein. Zum Glück … „Mit dem ersten Entwurf war ich nicht weitergekommen und hatte ihn schon verworfen. Bis ihr mich in einem Newsletter noch mal angestupst habt – und mir die ,Mitternachtssonne‘ plötzlich in den Sinn kam“, erzählt Bettina.
Seit wann schreibt sie denn schon? „Vor etwa zehn Jahren, als ich die Karriere für meinen Job als Hausfrau und Mutter an den Nagel hängte, hatte ich die Zeit, mich neu zu sortieren.“ Damals entdeckte sie die Lust am Schreiben. „Es ist meine Flucht vor dem Alltag. Etwas, das ich nur für mich tue.“ Außerdem kann sie so Orte, Erinnerungen und Erfahrungen verarbeiten. „Schreiben stillt meine Sehnsucht nach dem Reisen. Ich habe fünf Jahre in Portugal gelebt. Skandinavien habe ich auf einer Interrail-Tour erkundet – die Natur hat mich echt beeindruckt.“ Noch einen weiteren Vorteil hat das Schreiben: Kreativität braucht nicht viel Raum. Zum Glück, denn auch Mann und Kinder arbeiten und lernen von zu Hause. „Die ,Mitternachtssonne‘ ist an einem Klapptisch im Schlafzimmer entstanden.“ Und nun? „Es gibt noch so viele Geschichten, die in meinem Kopf nur darauf warten, erzählt zu werden.“ Gut, dass Bettina auch einen Schreibworkshop bei Bestsellerautorin Lilli Beck und eine Premium-Buchveröffentlichung gewonnen hat …
Neugierig, wer noch gewonnen hat?
Auch diese Geschichten haben begeistert und die Autor/-innen auf die Shortlist gebracht.
• „Der Hochzeitstag“ von Kristina Baumgarten
• „Am Ende siegt die Liebe“ von Geraldine Klump
• „Coronakonform“ von Annika Löffler
• „Zwischen uns vier Länder“ von Jil Mechert
• „Wir trotzen dem Sturm“ von Arthur R. Sindermann